Likrat Schabbat, mit dem ich Sie erreichen möchte, bedeutet «auf zu Schabbat» und bezieht sich auf ein Zitat von Rabbi Chanina, aufgezeichnet im Talmud Bawli (Schabbat 119a) und aufgenommen in unserem Sidur (S. 67):
באו ונצא לקראת שבתה מלכה  – «Kommt lasst uns die Königin Schabbat willkommen heissen.» Ich hoffe aus ganzem Herzen, dass Likrat Schabbat Ihnen hilft, sich auf die wöchentliche Begegnung mit Schabbat zu freuen und Schabbat zu einer speziellen, beruhigenden und vielleicht sogar nährenden Zeit zu gestalten.
Rabbiner Ruven Bar Ephraim

Gerne senden wir Ihnen Likrat Schabbat auch per E-Mail zu. Senden Sie eine entsprechende Nachricht an unser Sekretariat

Sidra Beha’alotcha, 18. Siwan 5785

Toralesung: Bemidbar [4BM] 10, 35 – 12, 16; Haftara: Jeschaja 65, 1-25.

                                                                                      

13.06.2025        18.45    Ma’ariw leSchabbat

14.06.2025        10.00    Schacharit leSchabbat
 

Verantwortung

 

Zwischen den Geschwistern Aharon, Mirjam und Mosche geschieht in der Sidra dieser Woche etwas, das in vielen Familien vorkommen kann. Mirjam und Aharon üben Kritik an Mosches Partnerwahl: «Mirjam und Aharon aber redeten über Mosche wegen der kuschitischen Frau, die er genommen hatte, denn er hatte eine kuschitische Frau genommen.» Damit laden sie den Zorn des Ewigen auf sich, der Mosche in Schutz nimmt. Als Strafe für ihre üble Nachrede wird Mirjam mit einer Hautkrankheit geschlagen, die ihren Körper weiss wie Schnee werden lässt. Aharon tritt ein, um seine Schwester zu verteidigen, und übernimmt Verantwortung für ihre beider Taten: «Da sprach Aharon zu Mosche: Mein Herr, bringe nicht die Sünde über uns, dass wir töricht gehandelt und uns versündigt haben. Möge sie doch nicht sein wie die Totgeburt, deren Fleisch schon halb verwest ist, wenn sie aus dem Schoß ihrer Mutter kommt.» Das bewegt Mosche dazu, zum Ewigen zu rufen: «אֵל נָא רְפָא נָא לָהּ – Ach, Gott, heile sie doch!» (Bemidbar [4. Buch Mose] 12,1–13).
 

Sowohl Aharon als auch Mosche übernehmen Verantwortung. Verantwortung – auf Hebräisch achrajut – אַחְרָיוּת, aber auch acharijut – אַחֲרִיּוֹת. Die beiden Formen sind austauschbar, können aber unterschiedlich interpretiert werden. Der Unterschied liegt im ersten Teil, der entweder als acher (der) Andere oder achar nach/danach gelesen werden kann. Aharon übernimmt Verantwortung für seine und Mirjams Taten, nachdem sie geschehen sind und er erkannt hat, dass sie falsch waren. Er und Mosche übernehmen beide die Verantwortung für den anderen – in diesem Fall für ihre Schwester Mirjam. Aharon bittet Mosche, und dieser wiederum den Ewigen, um Mirjams Heilung.
 

Der Mensch begeht bewusst und unbewusst Fehltritte – das scheint zum Menschsein dazuzugehören. Die meisten Menschen sind sich dessen bewusst und haben die Fähigkeit, ihre Fehler einzusehen und durch das Eingeständnis Verantwortung zu übernehmen. Verantwortung für den anderen zu übernehmen ist eine andere Sache. Wie können wir das verstehen? Die Frage von Kain, nachdem er seinen Bruder Abel ermordet hat – «Bin ich der Hüter meines Bruders?» (Bereschit [1. Buch Mose] 4,9) – müsste eigentlich immer mit „Ja“ beantwortet werden. Die Umsetzung jedoch ist komplex und hängt von der jeweiligen Situation ab – und davon, ob der Betroffene diese Fürsorge überhaupt wünscht. Vielleicht ist das der Grund, warum es uns schwerfällt, Verantwortung gegenüber dem Anderen zu übernehmen. Manchmal ist die Situation des Anderen so schrecklich, dass sie uns hilflos macht und wir nicht wissen, was zu tun ist. Manchmal erscheint uns die Situation zu gross und wir uns selbst zu klein, um etwas daran ändern zu können – und so wenden wir uns ab.
 

Die Situation in Israel-Gaza ist für mich derzeit eine solche Situation. Die innenpolitische und gesellschaftliche Lage in Israel sowie der von der israelischen Regierung weitergeführte Krieg in Gaza rufen Trauer, Wut und Ohnmacht in mir hervor. Ich weiss, dass ich daran nichts ändern kann – aber auch, dass ich nicht wegsehen darf und es immer wieder benennen muss. Dabei habe ich stets diese talmudische (Babylonischer Talmud, Schabbat 54b) Passage vor Augen: «Wer in der Lage ist, die Menschen in seinem Haus zu beeinflussen, es aber nicht tut, wird für die Sünden seines Hauses bestraft. Wer in der Lage ist, die Menschen seiner Stadt zu beeinflussen, es aber nicht tut, wird für die Sünden seiner Stadt bestraft. Wer in der Lage ist, die ganze Welt zu beeinflussen, es aber nicht tut, wird für die Sünden der ganzen Welt bestraft.»
 

Schabbat schalom,

Rabbiner Ruven Bar Ephraim