Likrat Schabbat
Likrat Schabbat, mit dem ich Sie erreichen möchte, bedeutet «auf zu Schabbat» und bezieht sich auf ein Zitat von Rabbi Chanina, aufgezeichnet im Talmud Bawli (Schabbat 119a) und aufgenommen in unserem Siddur (S. 67):
באו ונצא לקראת שבתה מלכה – «Kommt lasst uns die Königin Schabbat willkommen heissen.» Ich hoffe aus ganzem Herzen, dass Likrat Schabbat Ihnen hilft, sich auf die wöchentliche Begegnung mit Schabbat zu freuen und Schabbat zu einer speziellen, beruhigenden und vielleicht sogar nährenden Zeit zu gestalten.
Rabbiner Ruven Bar Ephraim
Gerne senden wir Ihnen Likrat Schabbat auch per E-Mail zu. Senden Sie eine entsprechende Nachricht an unser Sekretariat
Sidra Lech lecha, 10. Cheschwan 5786
Toralesung: Bereschit (1BM) 12:1 - 13:18; Haftara: Jeschaja 40:27 - 41:16
31.10.2025 18.45 Ma’ariw leSchabbat
01.11.2025 10.00 Schacharit leSchabbat
Lech lecha - Geh
Wir haben unser Leben fest im Griff – so glauben wir. Wir planen unseren Weg durchs Leben: Tage, Monate, ja manchmal sogar Jahre im Voraus. Es gibt uns Sicherheit, wenn im Kalender steht, dass wir an diesem oder jenem Tag, zu dieser oder jener Zeit, dort und dort aus einem bestimmten Grund sein werden. Vor diesem Hintergrund wirkt der Eröffnungsvers der Sidra dieser Woche fast befremdlich:
«Und der Ewige sprach zu Awram: Geh aus deinem Land, aus deiner Verwandtschaft und aus dem Haus deines Vaters in das Land, das ich dir zeigen werde.» (Bereschit [1BM] 12,1)
Awram erhält den Auftrag, sich auf den Weg zu machen – in ein Land, das Gott ihm zeigen wird. Er erfährt weder, wie das Ziel heisst, noch wo es liegt. Und dennoch bricht er mit seiner Frau Sarai und seinem Neffen Lot auf. Den ersten Schritt konnte er überblicken, doch was danach geschehen würde, blieb im Verborgenen.
Gott verheisst Awram Segen und einen grossen Namen. Ist das das Ziel, dem er nun entgegengeht? Die Menschen, die den Turm von Babel bauten, wollten sich selbst einen grossen Namen machen (Bereschit [1BM] 11,4) – und scheiterten. Der Vorfahr Awrams hiess Schem (Bereschit [1BM]11,10), was «Name» bedeutet. Sind wir, seine Nachkommen, also S(ch)emiten – Menschen des Namens? Ist es unsere Aufgabe, uns selbst «einen Namen zu machen»? Bedeutet es, ein Mensch von Namen zu sein, wichtig zu sein, berühmt zu sein – jemand, der zählt?
Jeder von uns erlebt in seinem Leben Lech-lecha-Momente – eine grosse Kursänderung, eine Weggabelung. Wir verlassen das Elternhaus, gehen Beziehungen ein oder beenden sie, ziehen um, wandern aus, beginnen eine neue Arbeit oder üben dieselbe Tätigkeit an einem neuen Ort aus. Auch wenn solche Entscheidungen sorgfältig geplant sind, wissen wir nie im Voraus, wie sie sich entwickeln werden.
Manchmal überkommen uns Lech-lecha-Momente auch unvorbereitet: Wenn ein Mensch verlassen wird, wenn Krankheit oder Verlust in das Leben treten, wenn wir unsere Arbeit verlieren. Doch selbst im Leid kann ein Moment entstehen, in dem wir die Situation ergreifen, um uns aufzurichten und gestärkt weiterzugehen.
Ein Lech-lecha-Moment war für mich der Schritt, mich hier bei Or Chadasch zu bewerben – vor nunmehr neunzehn Jahren. Ausser dem Namen kannte ich die Schweiz kaum, und ausser einem Zwischenstopp auf dem Flughafen war ich nie zuvor in Zürich gewesen. Eine mir unbekannte Gemeinde erwartete mich – mit einer eigenen, mir fremden Kultur. Wie schön, heimisch und nahe fühlt es sich jetzt an.
Nun, da der letzte Monat meiner Amtszeit als Gemeinderabbiner von Or Chadasch angebrochen ist, stehen Sylvia und ich vor einem neuen Lech-lecha-Moment: einer nächsten Etappe unseres Lebens, deren ersten Schritt wir überblicken können – doch was danach kommt, wissen wir nicht.
Diese Spannung gehört zum festen Bestandteil des menschlichen Daseins: das Ringen zwischen unserer Sehnsucht, die Zukunft zu planen, und der Einsicht, dass sie letztlich verborgen bleibt.
In diesem Spannungsfeld geschieht Glaube: nicht im Wissen, sondern im Gehen – Schritt für Schritt, im Vertrauen, dass der Ewige uns den Weg zeigen wird.
Schabbat schalom
Rabbiner Ruven Bar Ephraim
